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Essay-Brief Juli 2016

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Der Radikale Yoga -  Teil VIII.

Das 10.te Gebot – Verwirkliche deine Gottheit! – 2. Teil

© Bernd Helge Fritsch

 

Ich und der Vater sind eins

Wer sich heutzutage als "gottgleich" bezeichnet, wird voraussichtlich von den meisten Menschen als geistig beschränkt oder als maßlos übererheblich beurteilt werden. Doch erfreulicher Weise wird jemand, der behauptet zum "Ebenbild Gottes" geschaffen zu sein, nicht verfolgt oder gar mit dem Tod bedroht.

Das war nicht immer so. Denken wir daran, dass die Zeitgenossen von Jesus diesen steinigen wollten, weil er sich als "Eins" mit "Gott-Vater" bezeichnet hatte. Zuletzt wurde er eben wegen solcher Worte ans Kreuz genagelt.

Wir lesen im Johannes-Evangelium:

(Jesus:) "Ich und der Vater sind eins." Da hoben die Juden abermals Steine auf, um ihn zu steinigen. Jesus sprach zu ihnen: "Viele gute Werke habe ich euch erzeigt vom Vater; um welches dieser Werke willen wollt ihr mich steinigen?" Die Juden antworteten ihm und sprachen: "Um eines guten Werkes willen steinigen wir dich nicht, sondern um der Gotteslästerung willen, denn du bist ein Mensch und machst dich selbst zu Gott."

(Joh. 10,30-33)

Jesus antwortet ihnen, mit einem Hinweis auf ihre eigenen heiligen Schriften (Psalm 82,6) in dem alle Menschen als "Götter" bezeichnet werden:

"Steht nicht geschrieben in eurem Gesetz "Ich habe gesagt: Ihr seid Götter und allzumal Kinder des Höchsten"?"

(Joh. 10,34)

 

Ein weiteres Beispiel dafür, dass es in vergangenen Zeiten sehr gefährlich sein konnte, sich als "göttlich" zu bezeichnen, ist uns aus dem Mittelalter überliefert:

Gegen den großen spirituellen Lehrer Meister Eckehart wurde trotz der hohen Ämter, die er im Dominikaner-Orden ausübte, von der katholischen Kirche ein Inquisitionsverfahren wegen Gotteslästerung eingeleitet. Insbesondere wurden letztlich in der päpstlichen Bulle "In agro dominico" jene Lehrsätze Eckeharts als ketzerisch verurteilt, in denen er die "Einigkeit" eines jeden Menschen mit Gott erklärt:

"Alles, was der göttlichen Natur eigen ist, das alles ist auch dem gerechten und göttlichen Menschen eigen; darum wirkt solch ein Mensch auch alles, was Gott wirkt, und er hat zusammen mit Gott Himmel und Erde geschaffen…"

Artikel 13 der Bulle

"Alles, was Gott Vater seinem eingeborenen Sohne in der menschlichen Natur gegeben hat, das hat er alles auch mir gegeben: hiervon nehme ich nichts aus, weder die Einigung noch die Heiligkeit, sondern er hat mir alles ebenso gegeben wie ihm.

Artikel 11 der Bulle

 

Für Eckehart war Jesus zweifellos eine außergewöhnliche Persönlichkeit. Doch erfreulicher Weise stellt er ihn nicht auf ein Podest um ihn anzubeten und sich selbst klein zu machen. Für ihn ist jeder Mensch wie Jesus ein "eingeborenes" Kind Gottes und in seinem Wesensgrund von göttlicher Natur. Jesus und andere "erwachte" Personen unterscheiden sich nur dadurch von anderen Menschen, dass sie ihr Ego transzendiert haben und sich ihrer Einheit mit Gott bewusst sind.

Jeder der sich ernsthaft in sein eigenes Sein vertieft, wer in der Lage ist für eine Weile das ständige "Geplapper" seiner Gedanken zu beenden, nimmt wahr, dass "alles" Eins ist. Er begreift sein eigenes "All-Eins-Sein". Er erkennt, dass alles "Gott" ist und jede Trennung nur in seinem eigenen, verirrten Denken existiert.

Der Mensch ein "Gott im Werden"

Nach der "Genesis" schuf Gott den Menschen zu seinem Ebenbilde. Doch diese Feststellung ist ergänzungsbedürftig. Denn ein "Gott", ein Wesen, welches unabhängig und frei aus sich selbst heraus existiert, kann auch von der mächtigsten Gottheit nicht "erschaffen" werden. Es liegt in der Art aller "Geschöpfe", dass sie in ihrem Sein von ihrem Schöpfer abhängig und vorherbestimmt sind.

Zudem, wie wir in der äußeren Welt feststellen können, unterliegt alles Geschaffene der Vergänglichkeit. Ein "Geschöpf" kann daher nicht eine eigenständige und unsterbliche Gottheit sein.

Somit hat der "Schöpfer-Gott", so wie ihn das erste Buch Mose gleichnishaft schildert, mit der Erschaffung der ersten Seelen (Adam und Eva) und aller ihrer Nachkommen, nur die Basis geschaffen, damit sich aus ihnen - mit eigener Kraft - selbstständige "Götter" bilden können.

Bis auf wenige Ausnahmen (Menschen, die bereits "erwacht" sind), ist der Mensch auf der gegenwärtigen Evolutionsstufe nicht "Gott-gleich", sondern ein "Gott im Werden".

Wie schon zuvor ausgeführt, ist alles Eins, ist jedes Sein Gott. Daher könnte an dieser Stelle jemand einwenden, dass keine weitere Entwicklung des Menschen in Richtung "Gott-Sein" erforderlich sei, wenn ohnedies bereits alles Eins (Gott) ist.

Das Problem des Menschen allerdings beruht auf dem Umstand, dass er zwar Gott ist, doch es fehlt ihm ein Bewusstsein für diese, seine Göttlichkeit. Die Seele des "normalen" Menschen glaubt sich als Eins mit ihrem vergänglichen Körper. Sie kämpft um ihr Wohlbefinden und Überleben und verliert dabei ihr wahres Sein aus den Augen.

Die eigentliche "Gott-Werdung" des Menschen ist ein Vorgang im Bewusstsein seiner Seele. Sie vollzieht sich - wie unten näher beschrieben - wenn das Ego-Bewusstsein aufgelöst und damit zugleich die Göttlichkeit des eigenen Seelengrundes erkannt wird.

Unser Seelengrund

Wie alle "Erwachten" übereinstimmend erklären, ist unser Seelengrund, auch "Atman", "göttlicher Funke", "Christus -" oder "Buddha - in uns" genannt, mit der höchsten Gottheit nicht nur verbunden, sondern er "ist" in seinem Wesenskern "Eins" (identisch) mit Gott.

In diesem Sinne verweist auch Meister Eckehart darauf, dass der Seelengrund des Menschen nicht den geschaffenen und daher vergänglichen Dingen zugehörig sei. Die Gottheit selbst ist nach Eckehart ständig zuinnerst in der Seele anwesend.

Der Seelenkern des Menschen ist nach Eckehart "unvergänglich und eigenschaftslos wie die Gottheit selbst". Deshalb spricht Eckehart von einem "Teil" der Seele, der im Unterschied von ihren anderen Teilen "gott-gleich" sei.

Und Eckehart schildert unser, für den Verstand kaum begreifbares "Gott-Sein" mit den mystischen Worten:

Der Vater gebiert mich nicht allein als seinen Sohn;

er gebiert mich als sich und sich als mich

und mich als sein Sein und als seine Natur.

Meister Eckehart

 

Eckehart erklärt weiter: "Das Untere fasst und begreift das Obere nicht." Deshalb kann der Mensch mit seinem dualen Denken nur die Verstandeswelt (mentale Welt) und die darunter liegenden Hierarchien (Lebenskraft und Materie) nicht aber die Welt der Ideen und schon gar nicht die Gottheit selbst schauen. Er muss daher über sein gewöhnliches Denken hinaus gehen.

Erst wenn sich die Seele ihres göttlichen Wesenskerns bewusst wird, wenn sie ihr "Selbst erkennt" verwirklicht sie ihre Bestimmung zum "Ebenbild Gottes" aufzusteigen.

Dank Gottes Anwesenheit in der Seele ist ihre

Selbsterkenntnis Gotteserkenntnis.

Meister Eckehart

 

Ewiges Leben

Wie das grandiose Gleichnis von der Vertreibung aus dem Paradies aufzeigt, hat sich der Mensch aus der Einheit mit dem Sein befreit, indem er die Entscheidung traf, ein eigenständig denkendes Wesen zu werden. Er "aß" vom "Baum der Erkenntnis" und erlangte damit "Gedanken-Kraft". Auf diese Weise wurde er zu einer Seele, die ihr Schicksal selbst bestimmen kann. Der "Schöpfer-Gott" bestätigte dies mit den Worten: "Seht, der Mensch ist geworden wie wir; er erkennt Gut und Böse." (1.Mose 3,22).

Doch zu diesem Zeitpunkt der Evolution war der Mensch noch nicht reif eine unsterbliche Gottheit zu sein. Aus diesem Grunde verwehrt ihm "Gott" - so wird es bildhaft dargestellt - den Zugang zum "Baum des (ewigen) Lebens" mit den Worten:

"Seht, der Mensch ist geworden wie wir; er erkennt Gut und Böse. Dass er jetzt nicht die Hand ausstreckt, auch vom Baum des Lebens nimmt, davon isst und ewig lebt!

Gott, der Herr, schickte ihn aus dem Garten von Eden weg, damit er den Ackerboden bestellte, von dem er genommen war.

Er vertrieb den Menschen und stellte östlich des Gartens von Eden die Kerubim auf mit dem lodernden Flammenschwert, damit sie den Weg zum Baum des Lebens bewachten."

(Gen. 3,22-24)

 

Das bedeutet: Bevor die Seele des Menschen als bewusster Gott Unsterblichkeit erlangt, muss sie durch den Prozess mehrerer Erdenleben hindurch gehen. Im Zustand der Trennung von der Einheit formt sie ihre Einmaligkeit (Individualität). Bewirkt wird diese Trennung durch ihr duales Denken ("Gut und Böse-Denken). Aus diesem Denken resultiert das Egobewusstsein mit seinen vergänglichen Freuden und den sich ständig wiederholenden Leiden.

Im Zuge ihrer wiederholten Erdenleben, die vorzüglich als "Schule zum Erwachen dienen", hat die Seele die Freiheit zu entscheiden ob sie bereit ist ihr Ego aufzugeben und in eine eigenständige "bewusste" Einheit mit allem Sein (Atman-Brahman, universelles Bewusstsein) aufzusteigen.

Ist sie nicht bereit, ihren göttlichen Wesenskern (Atman) zu verwirklichen, so erlangt sie nicht "ewiges Leben" als bewusste, individuelle Gottheit, sondern sie verbleibt - ähnlich wie die Tiere - in der "unbewussten" Einheit mit dem Schöpfer-Gott.

Die Bewusstwerdung der Vollkommenheit und Göttlichkeit von allem Sein und damit verbunden die Bewusstwerdung der Göttlichkeit des eigenen Seelengrundes, wird als "Erwachen aus dem Traum von Leid und Vergänglichkeit" oder auch als die "Geburt des Gottes in uns" bezeichnet. Mit diesem Thema wird sich der nächste Essay-Brief näher auseinander setzen.

 

Mit herzlichem Gruß

Bernd